Braucht die Wesermarsch mit ihrem Grünland und den vielen Tieren auf der Weide eine Agrarwende? Wie sieht die Zukunft der Landwirtschaft in den Moorgebieten aus? Wer soll die erforderliche Erneuerung der Gewässerinfrastruktur bezahlen? Das sind einige der dringendsten Zukunftsfragen für die Landwirte in der Region. Antworten wollte der Kreislandvolkverband Wesermarsch jetzt von Kandidatinnen und Kandidaten für die Bundestagswahl erhalten und hatte zu einer Podiumsdiskussion ins Braker Centraltheater eingeladen. Moderiert wurde die Veranstaltung vom stellvertretenden Kreislandvolk-Vorsitzenden Hendrik Lübben.
„Ihr in der Wesermarsch mit der Grünlandwirtschaft seid die Agrarwende“, erklärte Christina-Johanne Schröder (Bündnis 90/Die Grünen), und auch die anderen Podiumsteilnehmer sahen keinen grundsätzlichen Änderungsbedarf an den landwirtschaftlichen Strukturen in der Region. Carsten Jesußek (Freie Wähler) betonte, dass die Tierzahlen nicht reduziert werden sollten, denn damit verdienten die landwirtschaftlichen Betriebe ihr Geld. Bastian Ernst (CDU) forderte, dass man Landwirte ihre Arbeit machen lassen sollte, statt über Wenden und Umbau zu sprechen. Auch Christian Dürr (FDP) lehnte „eine staatlich verordnete Agrarwende“ ab und sprach sich dafür aus, dass Landwirte am Markt Geld verdienen sollten statt Förderprogramme in Anspruch zu nehmen, denn diese seien immer mit Regulierung verbunden. „In der Wesermarsch haben wir so eine tolle Landwirtschaft mit den vielen grünen Weiden, und es gibt bereits große Naturschutzgebiete und Ausgleichflächen. Wir brauchen nicht noch mehr machen“, war auch Hamza Atilgan (SPD) überzeugt.
Bei der Frage nach der Zukunft der Moorgebiete blieben die Antworten zunächst vage, was einen direkt betroffenen Landwirt auf den Plan rief: „Vor der letzten Bundestagswahl vor dreieinhalb Jahren habe ich schon einmal bei einer Podiumsdiskussion die Frage gestellt, wie es im Moor weiter gehen soll, und ich habe immer noch keine Antwort bekommen. Aber es muss jetzt entschieden werden, wir brauchen Planungssicherheit!“ FDP-Kandidat Christian Dürr forderte daraufhin, dass die Politik den bestehenden Rechtsrahmen ändern müsse. Solange die EU am Green Deal und an der Farm-to-Fork-Strategie festhalte, werde die Diskussion um die Moorflächen weitergehen. Er sprach sich dafür aus, dass eine Bewirtschaftung weiter möglich sein müsse.
Christina-Johanne Schröder erinnerte an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass eine zu zögerliche Klimapolitik die Freiheit der nachfolgenden Generationen beschneide. Insofern könnten CO2-Einsparungsziele nicht einfach ignoriert werden. Dürr gab allerdings zu bedenken, dass das Gericht lediglich effektiven Klimaschutz angemahnt und keine konkreten Maßnahmen wie die Wiedervernässung von Mooren angeordnet habe.
Unterschiedliche Vorstellungen hatten die Kandidaten auch bei der Frage, wer die Erneuerung der Gewässer-Infrastruktur bezahlen soll, die unabhängig von möglichen Moorschutz-Vorhaben in jedem Fall angegangen werden muss, so Christian Dürr: „Da ist der Bund gemeinsam mit dem Land in der Pflicht.“ Hamza Atilgan sieht hier vor allem den Bund am Zug und möchte zusätzlich auch Betriebe zur Finanzierung heranziehen, die von den Weservertiefungen profitiert haben. Dem widersprach Carsten Jesußek: „Unternehmen sollten dafür nicht zahlen, genauso wenig wie die Kommunen. Das müssen Bund und Land gemeinsam schultern.“ Bastian Ernst sprach sich dafür aus, dass Politiker aus dem gesamten Nordwesten sich dafür parteiübergreifend stark machen und gemeinsam nach Lösungen suchen sollten. Christina-Johanne Schröder betonte, dass dies eine sehr große Aufgabe sei und der Finanzbedarf für die gesamte Küstenregion sich auf etwa eine Milliarde Euro belaufe. Es werde sehr schwierig, das Geld zu organisieren, beispielsweise über die „Gemeinschaftsaufgabe Küstenschutz“, die gemeinsam von Bund und Land finanziert wird.
Wolf und Weidehaltung, Weservertiefung, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auf dem Land, Perspektiven für den Berufsnachwuchs in der Landwirtschaft waren weitere Themen. Zum Abschluss gab Dr. Karsten Padeken, Vorsitzender des Kreislandvolkverbands Wesermarsch, den Kandidaten eine Liste mit Kernanliegen der regionalen Landwirtschaft mit auf den Weg: „Unsere Betriebe brauchen Vertrauen in die Verlässlichkeit von Rahmenbedingungen. Bei freien Märkten brauchen wir gleiche Standards für Produkte, die aus dem Ausland zu uns kommen. Naturschutz muss ein Geschäftsmodell für Landwirte sein, kein schmaler Nachteilsausgleich. Und beim Agrardiesel brauchen wir gleiche Regeln für alle in Europa!“
Schülerinnen und Schüler stellen Fragen
Zur Diskussionsrunde waren auch rund 60 Oberstufenschülerinnen und -schüler der Zinzendorfschule Tossens gekommen, die im Vorfeld Fragen an die Abgeordneten vorbereitet hatten – beispielsweise danach, welche Verbesserungen die Politik für Schulen vorschlägt. Carsten Jesußek war der Meinung, dass für Investitionen in die Schulgebäude und -ausstattung der Bund stärker in die Pflicht genommen werden muss. Bastian Ernst sah Investitionsbedarf beim öffentlichen Nahverkehr und beim Ausbau der Digitalisierung. Hamza Atilgan möchte dagegen die Bildungsstrukturen und -inhalte ändern – hier müsse mehr individuelles Lernen möglich sein. Christina-Johanne Schröder schlägt vor, die jungen Leute selbst stärker zu befragen, was sie brauchen, statt aus der Politik heraus Vorschläge zu machen. Investitionsbedarf sieht sie im ländlichen Raum insbesondere bei Orten, an denen man seine Freizeit verbringen kann.